Biologismus und Diskriminierung

Neuerscheinung

Im Rahmen des Sammelbandes „Medikalisierung und Soziale Arbeit“, der im Springer Verlag erschienen ist, habe ich einen Beitrag zum Thema „Biologismus und Diskriminierung“ beigesteuert; ein Thema, das mir schon lange unter den Nägeln brennt.

Die wesentliche Idee ist, dass verschiedenen Diskriminierungsmechanismen (wie z.B. Rassismus, Sexismus, Behinderung) eine gemeinsame Logik zugrunde liegt: Sie wird stets biologisierend und naturalisierend begründet. Ob es nun um die Benachteiligung von People of Colour (PoC), Frauen oder Menschen unter Bedingungen von Behinderung geht, es wird stets argumentiert, dass die soziale Schlechterstellung nicht ein soziales Phänomen sei, sondern ein Ergebnis natürlicher, biologischer Unterschiede. Um Behauptungen zu finden, dass PoC, nicht rational denken könnten, oder Frauen nicht rational denken könnten, weil ihre Gehirne einfach anders gebaut seien als die Gehirne weißer Männer, muss man (wenn überhaupt) gar nicht all zu weit in die Vergangenheit zurückgehen. Und bei Menschen, die als geistig behindert bezeichnet werden, wird man auch in der Gegenwart mühelos fündig.

Diesen Zusammenhang habe ich mir näher angeschaut, und komme zusammenfassend zu folgendem Ergebnis:

  • Diskriminierung geschieht in Praktiken, bei denen die Vorstellung einer biologischen, naturgegebenen Ordnung zur Begründung einer sozialen Ordnung verwendet wird.
  • Die biologischen Merkmale, die argumentativ zur Etablierung dieser Ordnung herangezogen werden, haben keine rationale oder wissenschaftliche Basis, sondern lassen sich nur in Abhängigkeit von eben jener sozialen Ordnung bestimmen, zu deren Begründung sie eigentlich herangezogen werden sollten. Sie dienen lediglich zur Unterscheidung zwischen einer diskursbestimmenden dominanten Gruppe und den besagten „Anderen“.
  • Somit lässt sich schlussfolgern, dass die biologistische Begründung und Rechtfertigung zur Stabilisierung und Aufrechterhaltung dieser Ordnung beiträgt.

Gegen Diskriminierung vorzugehen verschiebt also immer einen Veränderungsdruck von den betroffen Individuen auf die Gesellschaft. Vielleicht ist es daher auch nicht weiter verwunderlich, dass wir einen heftigen Backlash gegen eigentlich unaufregende Dinge wie Gendersternchen erleben.

Und was hat das mit Medikalisierung zu tun?

Aus dieser Überlegung leitet sich eine hilfreiche Unterscheidung für den sozialarbeiterischen Diskurs um Medikalisierung ab. Medikalisierung bedeutet in diesem Kontext, dass soziale Phänomene als medizinische Phänomene (oder zumindest mit medizinischem Vokabular) beschrieben werden.

Medikalisierung wird in der Sozialen Arbeit meist negativ bewertet (z.B. wenn die Tatsache, dass Schulunterricht i.d.R. soziale Anforderungen mit sich bringt, die viele Kinder nicht erfüllen können, als ein medizinisches Syndrom beschrieben wird: ADHS). Es gibt aber auch Medikalisierungsprozesse, die hilfreich sind (z.B. die Anerkennung bestimmter Suchtverhalten als Suchterkrankungen).

Mit dem oben beschriebenen Blick auf die biologistischen Grundlagen von Diskriminierung lässt sich hier eine Unterscheidung vornehmen:

  • Negativ zu bewerten sind Medikalisierungsprozesse dann, wenn sie Teil diskriminierender Praktiken sind und den Veränderungsdruck einseitig den betroffenen Individuen zuschreiben.
  • Positiv zu bewerten sind Medikalisierungsprozesse dann, wenn sie den Zugang zu einer Infrastruktur an Hilfestellungen etablieren und damit eine Veränderung gesellschaftlicher Anforderungen einleiten.

Die Details gibt's im Text, den Volltext habe ich in der Rubrik Wissenschaft zur Verfügung gestellt.